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Religionsfreiheit für Vietnam!

Manuskript für den Vortrag zur Gedenkveranstaltung des Bundesverbandes der vietnamesischen Flüchtlinge in der Bundesrepublik Deutschland anlässlich des 40jährigen Bestehens der kommunistischen Diktatur in Vietnam am 25. April 2015

 

Sehr geehrte Frau Bundesvorsitzende Dr. Hoang Thi My Lam,
sehr geehrter Herr Professor Johannes Kals,
sehr geehrte Damen und Herren,

recht herzlich möchte ich mich für die Einladung zu der heutigen Veranstaltung bedanken, insbesondere dafür, dass Sie mir die Gelegenheit geben, zu Ihnen zu sprechen!

40 Jahre kommunistische Diktatur in Vietnam – das ist kein Anlass für eine Feier-, sondern für eine Gedenkstunde. Wir denken an die Opfer der Diktatur und an alle Menschen, die aus Vietnam fliehen mussten. Gerade heute, wo so viele Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen und Mittleren Osten nach Europa kommen bzw. dies versuchen und bei dem Versuch oftmal so tragisch scheitern, ist es mir ein besonderes Anliegen, all diejenigen ganz herzlich zu grüßen, die einst nach Deutschland fliehen mussten oder Nachfahren der Flüchtlinge sind.

Die Fluchtgründe sind damals wie heute die gleichen: Krieg und Terror, der totale Machtanspruch von Regimen und die Ohmacht der Bürger, Dikatur und Unterdrückung, Armut und Perspektivlosigkeit. Vor allem eines fehlt den Menschen, die das existenzielle Risiko einer Flucht auf sich nehmen, etwas, das ebenfalls existenziell ist: Freiheit. Insbesondere ist es der Mangel an Religionsfreiheit, der Menschen zur Flucht treibt. Das hat nur zu einem geringen Teil mit der fehlenden Möglichkeit zu tun, die eigene Religion in Form ritueller Glaubenshandlungen ausleben zu können, also Gottesdienst zu halten; zu einem großen Teil hängt es damit zusammen, dass sich aus dem Mangel an Religionsfreiheit das Fehlen von Entfaltungsmöglichkeiten auch im politischen Bereich ergibt. Denn mit der Religionsfreiheit steht und fällt die Gewissensfreiheit und mit der Gewissensfreiheit steht und fällt alles andere an Freiheit, das sich der Mensch wünscht (Meinungsfreiheit, Pressefreiheit, Wahlfreiheit). Ich möchte das nachfolgend ein wenig erläutern, um dann auf Vietnam zu sprechen zu kommen.

1. Warum ist Religionsfreiheit so wichtig?

1.1 Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte verbürgt in Artikel 18 die Religionsfreiheit: „Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewis­sens– und Reli­gions­frei­heit; dieses Recht schließt die Frei­heit ein, seine Reli­gion oder seine Weltan­schau­ung zu wech­seln, sowie die Frei­heit, seine Reli­gion oder seine Weltan­schau­ung allein oder in Gemein­schaft mit anderen, öffentlich oder pri­vat durch Lehre, Ausübung, Gottes­di­enst und Kulthand­lun­gen zu bekennen.“ Also: Religionsfreiheit ist ein Menschenrecht.

1.2 Religionsfreiheit ist ein Ur-Menschenrecht, das auf die Freiheit schlechthin verweist

Religionsfreiheit ist zudem ein zentrales, herausragendes, elementares und – bezogen auf die Genese der Menschenrechtsidee – ursprüngliches Menschenrecht. Christliches Gedankengut zeigt sich im Kontext der liberalen Menschenrechte in der Entwicklung, dem Wesen und dem Geltungsanspruch dessen, was als Freiheit von staatlicher Allmacht definiert wird. Es zeigt sich in Leib- und Lebensrechten, wie etwa im Folterverbot, und es liegt Freiheits- und Gleichheitsrechten zugrunde.

Die vielen Freiheiten in Politik, Wissenschaft, Medien und Kunst, das macht ein Blick in die Entwicklungsgeschichte der Menschenrechtsidee deutlich, gründen auf der einen elementaren Freiheit, der Religionsfreiheit. Dies lässt sich historisch zurückverfolgen bis zum Exodus des jüdischen Volkes, in dem sich die erste kollektive Freiheitsbewegung der Geschichte manifestiert, dessen Motiv auch in der religiösen Integrität der Israeliten liegt.

Der Staatsrechtler Jellinek sieht in der Religionsfreiheit „das Ursprungsrecht der verfassungsmäßig gewährten Grundrechte“. Und der in Religionsfragen eher unverdächtige Marxist Ernst Bloch sagte: „Die Bedeutung der Glaubensfreiheit kann daran gemessen werden, dass in ihr der erste Keim zur Erklärung der übrigen Menschenrechte enthalten ist“. Kurzum: Ringen um Freiheit war und ist zunächst das Ringen um Religionsfreiheit.

1.3 Religionsfreiheit verweist zudem auf das Gewissen, das den Menschen befähig, selbst zu entscheiden – auch gegen staatliche Gesetze

Gewissens-, Glaubens- und Reli­gions­frei­heit gehören zusammen. Artikel 4 des Deutschen Grundgesetzes führt Religion, Glaube und Gewissen zur unlösbaren Einheit. Und womit? Mit Recht! Denn Religions- und Glaubensfreiheit sind sehr eng mit der Gewissensfreiheit verbunden. Dieser Konnex ist im Grundgesetz nicht auf eine bestimmte Religion beschränkt, obgleich das Christentum im Rahmen der europäischen Verfassungsgeschichte für viele zentrale Konzepte Pate stand – auch für das Gewissen als Verfassungsnorm.

In allen freiheitlichen deutschen Verfassungen seit 1848 wird der Zusammenhang von Religions-, Glaubens- und Gewissensfreiheit hergestellt. In der Paulskirchenverfassung (1848) hieß es: „Jeder Deutsche hat volle Glaubens- und Gewissensfreiheit. Niemand ist verpflichtet, seine religiöse Überzeugung zu offenbaren.“ (§ 144). Auch die Weimarer Reichsverfassung (1919) kannte die Trias der Grundfreiheiten: „Alle Bewohner des Reichs genießen volle Glaubens- und Gewissensfreiheit Die ungestörte Religionsübung wird durch die Verfassung gewährleistet und steht unter staatlichem Schutz. Die allgemeinen Staatsgesetze bleiben hiervon unberührt.“ (Art. 135). Und schließlich eben unser heute geltendes Grundgesetz: „Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.“ (Art. 4 Abs. 1).

Die Gewissensfreiheit wiederum ist ein besonderer Luxus innerhalb einer Rechtsordnung. Denn: Alles ist letztlich eine Gewissensfrage bzw. kann dazu werden. Auch die politische Meinung. Das macht die Sache gefährlich für den Staat. Wenn dieser seinen Bürgern Gewissensfreiheit gibt, muss er ziemlich sicher sein, dass daraus keine Fundamentalopposition entsteht.

Religionen vermögen diese Opposition einzelner Menschen, die von ihrem Gewissen Gebrauch machen, zu bündeln, zu institutionalisieren und damit in ihrer Wirksamkeit zu steigern. Damit wird die Sache noch gefährlicher für den Staat. Darum gibt es in Diktaturen keine echte Gewissens-, Glaubens- und Religionsfreiheit. Sie mag auf dem Papier garantiert werden, in der Praxis wird sie ständig unterwandert. Leider auch in Vietnam.

2. Die Lage in Vietnam

Während die Welt mittlerweile die Verfolgung von Christen in islamisch geprägten Gesellschaften vermehrt zur Kenntnis nimmt – insbesondere wegen der bestialischen Gewalt des „Islamischen Staat“ –, findet in Ost- und Südostasien weitgehend unbeachtet von der Weltöffentlichkeit eine massive Christenverfolgung statt. Vor allem in China und Nordkorea, aber auch in Vietnam.

In Vietnam sind derzeit mehr als sechzig religiöse Würdenträger in Haft, nur weil sie religiöse Würdenträger sind. Wenn überhaupt, dann erfahren wir von Inhaftierungen in Vietnam nur, wenn es sich dabei um mehr oder weniger prominente Opfer handelt, wie im Fall des katholischen Paters Nguyen Van-Ly, der eine langjährige Haftstrafe absitzt. Die staatlichen Repressionen gegen ganz normale Priester und Ordensleute werden hingegen in der Presse nicht erwähnt. Fest steht: Es gibt eine neue Dimension der flächendeckenden Christenverfolgung in Vietnam. Eine Schlüsselrolle spielt dabei eine Anfang 2013 in Kraft getretene Verordnung zur Umsetzung des Religionsgesetzes, die nach Einschätzung von Open Doorsdie Kontrolle der Kirche zunehmend verschärft.

Zwar wird in Vietnam die Religionsfreiheit auf dem Papier gewährleistet, doch unter sehr strengen Bedingungen, die dieses Ur-Menschenrecht substantiell aushöhlen. Die „Verordnung zur Religion (92/2012 ND CP)“, kurz „ND 92“, zeigt, dass es den Behörden in Vietnam im Grunde darum geht, jede gemeinschaftliche Religionsausübung unmöglich zu machen. Entscheidend ist dabei der in der neuen Norm erwähnte Tatbestand des „Freiheitsmissbrauchs“, der bereits vorliegt, wenn in Religionsgemeinschaften eine vom Verständnis der vietnamesischen Behörden abweichende Spiritualität gelehrt wird, wenn etwa, wie im Christentum, die Anbetung des Dreieinigen Gottes an die Stelle der Ahnen- und Heldenverehrung tritt. Dann, so die Sicht der Behörden, werde nicht nur die „Pflege der guten Gebräuche“ vernachlässigt, sondern dann sei auch die „nationale Einheit“ in Gefahr.

Diese Gefahr ständig witternd schlagen die Behörden regelmäßig Alarm. Es kommt vermehrt zu Festnahmen und Inhaftierungen. Die konkreten Auflagen für die Kirche in Vietnam sind absurd: Die Gemeinden müssen im Oktober eine vollständige Liste aller für das kommende Jahr geplanten Aktivitäten vorlegen – nachträgliche Änderungen sind nicht erlaubt. Das gilt auch für Taufen und Hochzeiten. Sogar Beerdigungen müssen ein Jahr im Voraus terminiert werden. Wenn es nicht so traurig wäre, könnte man wohl darüber lachen. Doch es ist traurig, denn auf der Basis dieser Verordnung herrscht Behördenwillkür und die Repressionen gegen die Kirche nehmen tagtäglich zu.

Der Sonderberichterstatter über Religions- und Weltanschauungsfreiheit des UN-Menschenrechtsrats, Heiner Bielefeldt, besuchte im Juli 2014 Vietnam. Er berichtet: „Der geplante Besuch der Provinzen An Giang, Gia Lai und Kon Tum wurde leider vom 28. bis 30. Juli unterbrochen. Ich erhielt glaubhafte Informationen, dass einige Personen, die ich treffen wollte, entweder unter intensiver Beobachtung standen, gewarnt, eingeschüchtert oder schikaniert wurden, oder durch die Polizei am Reisen gehindert wurden. Selbst diejenigen, denen es gelang, mich zu treffen, waren nicht frei von polizeilicher Überwachung oder Befragung. Darüber hinaus wurde ich selbst durch mir nicht angekündigte ‚Sicherheits- und Polizeiagenten‘ bezüglich meiner Aufenthaltsorte eng beschattet.“ Er führt weiter aus: „Die Bedingungen, unter denen Individuen oder Gruppen ihre Religion oder ihren Glauben ausüben können, sind willkürlich und hängen oft von dem Goodwill der staatlichen Behörden ab; letztendlich von den örtlichen Behörden. Darüber hinaus sehen sich Angehörige religiöser Minderheiten ohne offizielle Anerkennung weiterhin enormen Schwierigkeiten ausgesetzt, wenn sie ihre Rechte auf freie Ausübung ihrer Religion oder ihrer Glaubensüberzeugung wahrnehmen.“

Der letzte größere Fall von Verfolgung betrifft auch das Nachbarland Kambodscha. 36 Angehörige des indigenen Volkes der Jarai, die vor der Verfolgung in ihrer vietnamesischen Heimat nach Kambodscha geflohen waren, wurden im März diesen Jahres nach Vietnam abgeschoben. Die Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV) hat die Abschiebung verurteilt: „Die zwangsweise Abschiebung der Ureinwohner ist eine grobe Verletzung der Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen, da den Flüchtlingen in Vietnam akute Gefahr für Leib und Leben droht“, erklärte der GfbV-Asienreferent Ulrich Delius. Diese Gefahr ergibt sich daraus, dass die Jarai wegen ihrer Zugehörigkeit zur protestantischen Kirche und wegen ihrer Proteste gegen den Raub ihres Landes in den vietnamesischen Bergen vom Regime in Hanoi massiv verfolgt werden. Kambodscha hat die Flüchtlingskonvention der Vereinten Nationen im Jahr 1992 unterzeichnet. Sie verbietet ausdrücklich die Abschiebung von Flüchtlingen, wenn ihnen Gefahr für Leib und Leben droht. Aber das scheint die Verantwortlichen nicht zu interessieren, weder in Kambodscha noch in Vietnam.

Die Verfolgung trifft in Vietnam aber nicht nur die etwa 410.000 Jarai, sondern alle Christen, da sie als Gefahr für das kommunistische System betrachtet werden. Vietnamesische Christen werden als „Angehörige religiöser Minderheiten“ besonders stark verfolgt. Dabei wird die von Christen ausgehende Gefahr für das kommunistische Unterdrückungssystem von der Regierung durchaus richtig erkannt: Der Mensch, der durch das Evangelium Jesu Christi „zur Freiheit befreit“ ist (vgl. Gal 5, 1) und der „Gott mehr gehorcht als dem Menschen“ (vgl. Agp 5, 29), sperrt sich gegen die Willkür autoritärer Behörden und gegen das übergriffige Herrschaftsgebaren des totalitären Staates.

3. Südkorea als Vorbild

„Genutzt“ hat die massive Einschränkung der Religionsfreiheit und die verstärkte Christenverfolgung dem Hanoier Regime bislang übrigens nicht: Das Christentum gewinnt in Vietnam weiter an Einfluss – und die Kirche wächst. So schön das auch ist (sag ich jetzt mal, wo wir in einer katholischen Pfarrei zu Gast sind), zu wünschen wäre, dass die Freiheit zur Religion zu einer Selbstverständlichkeit im Alltag der Vietnamesen wird. Und dass die Kirche mitwirkt, durch die Kraft der Frohen Botschaft Veränderungen in der vietnamesischen Gesellschaft anzustoßen, die für alle Vietnamesen Freiheit und Fortschritt bringen.

Das scheint heute ein frommer Wunsch oder ein realitätsferner Traum zu sein. Aber schauen wir ruhig auch in diesem Kontext auf Korea, diesmal auf den Süden des Landes. Dort wurde die Kirche im 19. Jahrhundert massiv verfolgt (es gab allein in der Katholischen Kirche etwa 10.000 Märtyrer), sie hatte dann aber im 20. Jahrhundert und bis heute großen Anteil am Aufbau einer demokratischen Gesellschaft mit einer der leistungsfähigsten Volkswirtschaften der Welt. Das Pro Kopf-Einkommen des durchschnittlichen Südkoreaners hat sich in den letzten 50 Jahren etwa verhundertfacht (von 200 auf 20.000 US-Dollar pro Jahr).

Die Kirche hatte an diesem Veränderungsprozess einen großen Anteil und ist heute eine von allen Koreanern hoch geschätzte Einrichtung, die auch heute, in einer Zeit, in der hierzulande viele Menschen der Kirche den Rücken kehren, immer noch und immer weiter wächst. Momentan sind 5,3 Millionen Südkoreaner katholisch (rund 11 Prozent). Insgesamt beträgt der Anteil der Christen an der Bevölkerung Südkoreas derzeit etwa 30 Prozent; vor 50 Jahren betrug er nur 5 Prozent. Eine ähnliche Entwicklung nimmt der Buddhismus: Der Anteil der Buddhisten stieg in den letzten 50 Jahren von 3 auf 23 Prozent.

Also, es gibt Hoffnung für Vietnam! Doch damit aus Hoffnung Erwartung werden kann, braucht es Maßnahmen. Das erste und wichtigste ist die Schaffung von Freiheit und Demokratie. Beginnen sollte man mit der Gewissens-, Glaubens- und Reli­gions­frei­heit. Der Rest wird sich ergeben.

Ich komme zum Schluss. Als die DDR ihr 40jähriges Bestehen feierte, war schon abzusehen, dass die Menschen anlässlich ihres 50jährigen Bestehens nicht mehr feiern, sondern nur mehr gedenken würden. In diesem Jahr feiern wir 25 Jahre Einheit und damit 25 Jahre Ende der DDR. Ich hoffe mit Ihnen, dass wir in zehn Jahren auch Anlass haben zu feiern!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

(Josef Bordat)